Sebastian Kneipp – ein außergewöhnliches Leben

kneipp

Vom armen Webersohn zur international bekannten Persönlichkeit, deren Vermächtnis in Deutschland inzwischen sogar als immaterielles Kulturerbe anerkannt ist – ist das nicht ein märchenhafter Aufstieg?

Es ist eine wahre Geschichte, die sich aber weder im schillernden Hollywood noch im Silicon Valley der letzten Jahre zugetragen hat, sondern auf dem Land im Bayerischen Allgäu zwischen 1821 und 1897.

Es geht um das Leben und Wirken von Sebastian Kneipp, der vor allem Seelsorger, Priester und Pfarrer war. Berühmt wurde er allerdings als „Dr. Hydrophilus“ oder Wasserdoktor, der tausenden Menschen zu Gesundheit verhalf und einigen auch wahrhaftig das Leben rettete. Das alleine wäre schon bemerkenswert genug. Ein Blick auf den Lebensweg bringt aber noch einige bewundernswerte Fakten mehr hervor.
Dass wir Kneipps Lehre auch heute noch nutzen können, ist nämlich gar nicht selbstverständlich. An etlichen Scheidewegen in Kneipps Leben hätte es auch genausogut aus sein können und er hätte sein gesundheitsförderndes Wissen für immer mit ins Grab genommen.

Das Leben zu Kneipps Zeiten

Kneipps Leben spielt von 1821 bis 1897. Bayern ist in dieser Zeit ein Königreich und wird von König Ludwig I und ab 1864 vom Märchenkönig Ludwig II regiert. In der Musik ist Romantik angesagt, so dass Kneipp u.a. ein Zeitgenosse von Richard Wagner (1813 – 1883) war.

Wer sich fortbewegen oder etwas transportieren will, geht zu Fuß, benutzt Handwagen oder ein Pferdefuhrwerk. Automobile sind noch nicht in Sicht, wohl aber die Eisenbahn, die 1835 erstmals zwischen Nürnberg und Fürth verkehrt und somit auch Kneipp als Verkehrsmittel dient.
Das Fahrrad wird gegen Ende Kneipps Leben zum Sportgerät, so dass er den Mitgliedern des Radfahrer-Vereins Wörishofen 1894 noch Tipps zur richtigen Haltung und zum besten Schuhwerk geben konnte.

Die Bekleidung besteht zumeist aus grobem Leinen und auch aus Leder, Wolle und manchmal Baumwolle. Grobe Stoffe massierten gleich die Haut der ärmeren Leute. Frauen trugen lange Röcke und oft auch gesundheitsgefährdende Mieder. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass Luftbäder und Wassertreten mit nackten Beinen, verordnet von einem Pfarrer, Sensations- bis Skandalcharakter hatten.

Ein klares Ziel vor Augen

Schon als junger Bursche wusste Kneipp, dass er Priester werden will. Auf dieses Ziel hat er in der Folge alle seine Aktivitäten ausgerichtet, hat hart gearbeitet und gespart, hat an vielen Stellen um Unterstützung gesucht und sich von niemandem und nichts von seinem Ziel abbringen lassen.

Diese Geschichte beweist die starke Sogwirkung, die ein passendes Ziel entfalten kann. Kneipp hat seine Selbstverantwortung auch stets ernst genommen, hat nie anderen die Schuld für Rückschläge gegeben, sondern immer alles ihm Mögliche getan.

Und so war er im August 1852 endlich am Ziel und wurde zum Priester geweiht.

Rückschläge

Wenn es in Kneipps Lebensgeschichte auf seinem Weg zum Ziel nach harter Arbeit einen Lichtblick gab, folgte oft ein herber Rückschlag.

Drei Sommer lang hatte der junge Kneipp neben der Weberei noch als Handlanger und Erntehelfer gearbeitet, sich 70 Gulden zusammengespart und etwas Mobiliar erworben, das er als Student brauchen würde. Zurück zum Start hieß es 1841 als sein Elternhaus ein Raub der Flammen wurde und Kneipp trotz beherzter Versuche nichts retten konnte.

Fluchen? Aufgeben? An Gott zweifeln? Nein, Kneipp behielt sein Gottvertrauen und fand schließlich in Kaplan Merkle einen Gönner, der ihm den Besuch des Gymnasiums ermöglichte. Allerdings gelang ihm das erst im vierten Anlauf, denn drei Mal wurde er wegen seines fortgeschrittenen Alters – er war 23 – nicht aufgenommen.

Ende gut, alles gut? Nein, noch lange nicht. Denn mitten in seiner Gymnasialzeit bricht die Lungentuberkulose aus und schwächt ihn so sehr, dass er die Schulzeit nur mit Mühe übersteht. Er schafft zwar das Abitur und auch den Übergang ins Philosophie- und Theologie-Studium, kann sich diesem aber kaum ernsthaft widmen. Er hustet Blut, ist schwach und abgeschlagen. Kein Arzt kann ihm helfen, er gilt als unheilbar. Aus der Traum vom Priester? Immerhin könnte er sich nicht vorwerfen, es nicht probiert zu haben.

Und wieder zieht er seinen Kopf selbst aus der Schlinge, findet die Heilkraft des Wassers und damit zurück ins Studium, Leben und auf die Erfolgsspur.

Spötter und Widersacher

Was ihm geholfen hat, muss er doch auch anderen zuteil werden lassen, oder? Natürlich, und so beginnt er bei Mitstudenten mit erfolgreichen (!) Behandlungen. Die Geheilten freut’s, aber der Spott bleibt trotzdem nicht aus. Immer wieder nimmt sich Kneipp vor, mit den Behandlungen aufzuhören, aber es gelingt ihm nicht. Als Priester wird er ja oft zu Kranken gerufen. Ihnen nur beim Jammern zuhören und nicht helfen dürfen? Das geht einfach nicht.

Er ist erfolgreich und heilt viele tausende Menschen, vor allem auch Arme, die sich keine ärztliche Behandlung leisten können.
Die Erfolge geben ihm Recht, aber er ist nun mal kein Arzt, behandelt aber trotzdem Kranke. Deshalb wird er mehrfach wegen Kurpfuscherei angezeigt. Manche Richter verhängen sogar Geldstrafen, nur um sich anschließend von ihm behandeln zu lassen… Andere Richter sprechen in gleich frei, weil ihm tatsächlich nichts vorzuwerfen ist.

Kneipp nimmt alles höchst gelassen, heilt und predigt erfolgreich weiter, unterstützt durch folgende Aussagen:

„Als ich Pfarrer in Wörishofen wurde, da schaffte ich mir ein Kleidungsstück an, das ich seit jener Zeit hoch in Ehren halte: einen Regenmantel. Als ‚Meine Wasserkur‘ aufkam, wurden Schmähschriften der niedrigsten Sorte herausgegeben: Zeitungen aller Schattierungen und jeder politischen Richtung vereinigten sich gegen mich, der eine wollte dies, der andere jenes, da hab ich den Regenmantel besser zugezogen und hab’s ablaufen lasse.“

„Allen, die in boshafter Weise gegen mich schreiben, möchte ich sagen: Plagt euch doch nicht wegen mir. Ich lese es ja doch nicht!“

Freunde und Vermächtnis

Zwei Namen werden 1890 am häufigsten genannt: Bismarck und Kneipp! Viele Freunde und Helfer standen also fest hinter Kneipp und unterstützten ihn, die Verbreitung, Weiterentwicklung und Erhaltung seiner Lehre.
Zwei Klosterschwestern waren Kneipps erste Bademeisterinnen, Dr. Bernhuber der erste Arzt an seiner Seite.

Dr. Baumgarten ist Kneipps Arzt bis zu dessen Lebensende. Ein großer Tumor hat sich in Kneipps Bauch gebildet. Baumgarten rät zu einer Operation, aber Kneipp bleibt bei seinen Methoden, die in diesem Fall leider nicht mehr erfolgreich sind. Ob Baumgarten Recht behalten hätte, lässt sich im Nachhinein nicht mehr sagen. Drei Tage vor seinem Tod sagte Kneipp: „Gschtorbe muaß amal sei, und i moin, ’s ischt recht gut, dass mer dia Sach im Bett abmache ka.“ (Quelle: Vergesst mir die Seele nicht)

Zum Glück hatten seine Freunde schon vorher dafür gesorgt, dass Kneipps vielfältiges Wissen in mehreren Büchern für die Nachwelt erhalten blieb. Das meiste aus seinen historischen Schriften ist noch immer unverändert anwendbar. Wie richtig Kneipp mit dem Wasser, den Kräutern und den anderen Säulen seiner Lehre lag, konnte die Wissenschaft inzwischen zweifelsfrei beweisen.

Impressionen aus Bad Wörishofen