Plötzlich nichts mehr sehen – im Dunkelexperiment auf Fehmarn

dunkelexperiment

Wie ist das, wenn man nichts sieht und sich nur durch Tasten und Befühlen orientieren kann? Diese Erfahrung kann man seit wenigen Monaten realitätsnah, aber dennoch geschützt im Dunkelexperiment auf der Ostseeinsel Fehmarn machen.
Da muss ich hin, war der spontane Gedanke, nachdem mir der Flyer in die Finger gekommen war. Ich habe mich richtig auf den Besuch gefreut, denn im Gedächtnistraining liebe ich die Übungen mit den Tastsäckchen. Also nichts wie hin in die Halle am Rande des Hafens Burgstaken, Eintrittskarte kaufen, Maske und Taststock in Empfang nehmen und dann los.

Aber Stop, erstmal noch im Vorraum an einem der Bildschirme stehenbleiben und die “Bedienungsanleitung” ansehen. Denn schließlich will man den Besuch im Dunkelexperiment ja geniessen und nicht zu Schaden kommen, wenn der wichtigste Sinn ausgeschaltet wird. An den Wänden sind Dinge zum Ertasten angebracht, lautet eine wichtige Information. Und tröstlich ist auch, dass überall genug Restlicht vorhanden sein soll, falls man sich nicht wohl fühlt und die Maske abnehmen möchte.

Na gut, dann kann ja nichts passieren. Also Maske auf, Stock nach vorne und wirklich los durch den dicken Vorhang.

Puh, ist das komisch, wenn man so gar nichts sieht! Ich fühle mich total verloren und traue mich kaum, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ich traue mich auch kaum, meine Hände suchend nach den Gegenständen an den Wänden auszustrecken. Warum? Keine Ahnung. Irgendwie habe ich Angst, dass etwas passiert, dass es sich eher um ein Gruselkabinett handelt als um eine seriöse Erlebniswelt. Ich habe Angst, irgendwo drüber zu stolpern, mit anderen Besuchern zusammenzustoßen oder irgendwas Ekliges anzufassen. Also nehme ich doch wieder meine Maske ab und schaue, wo ich bin.

Meine rationale Hirnhälfte ist voll in ihrem Element, denn bei ausreichend Licht sehe ich, dass ich zwar im Wald stehe, aber in einem geraden Gang, links mit einer glatten Wand und rechts mit verschiedene Ausstellungsstücken.

Da hatte mich also meine Vorstellungskraft in die Irre geführt, denn unter “Dinge an der Wand” aus der Einführung hatte ich mir kleine Dinge vorgestellt, die an der Wand hängen. Aber in Wahrheit hingen bzw. standen hier ja riesige Dinge, vom Baumstamm über Tiere bis zu einem halben Auto.

Es kann nichts passieren, und ich bin auch ganz alleine auf weiter Flur, so dass ich mit niemanden zusammenstoßen kann, sagte ich mir zur Beruhigung und ziehe die Maske wieder über die Augen. Gaaanz gaaanz langsam bewegte ich mich in kleinen Schritten vorwärts und streckte die freie Hand aus. Hoffentlich gibt es keine versteckte Kamera, denn die meiste Zeit fuchtelte ich wohl wild in der Luft rum, ohne etwas zu ertasten. Und irgendwie hatte ich auch das Gefühl, nicht mehr geradeaus gehen zu können….

Innerlich aufgewühlt und mehr mit Schauen als mit Tasten arbeitete ich mich zum Ende des ersten Gangs vor und nehme für das nächste Stück hinter der Wende all meinen Mut zusammen. Tatsächlich gelingt es mir nun etwas besser, mich auf die verbleibenden Sinne einzulassen. Mit dem Stock kann ich den Raum für den nächsten Schritt ja wirklich sicher ertasten, und den Händen wird schon nichts passieren – das könnte sich der Betreiber ja gar nicht leisten.

Und so erschliesst sich mir tatsächlich langsam die Wohnung, die hier aufgebaut ist. Ein paar Meter gehe ich, taste mich durch, drehe mich dann zurück, um das Kommende nicht zu sehen, aber rückblickend Erfühltes mit Tatsächlichem zu vergleichen. Einiges habe ich gut erkannt, aber erstaunlich viele Dinge habe ich schlicht über-fühlt, denn übersehen ging ja nicht. Das Blickfeld ist also tatsächlich um vieles größer als das Tastfeld, das sich – noch immer mit Vorsicht – auf die Bereiche begrenzt hat, die die Hand im Stand erreicht. Aber zumindest steigt mein Vertrauen in das Dunkelexperiment langsam und ich kann mich mehr und mehr auf’s Tasten und Befühlen einlassen.

Im Rückblick ist immer wieder interessant, wie fixe Vorstellungen das Tasterlebnis bestimmen, nur um beim Anblick eines Besseren belehrt zu werden. Das Bett beispielsweise hatte ich zwar erkannt und einfach angenommen, ich würde am Fußende eines Doppelbetts vorbeigehen. Tatsächlich war es aber ein Einzelbett, an dessen Längsseite ich vorbei gegangen war.

Nächste Wende und auf in den Supermarkt. Nachdem bis dahin nichts Schlimmes passiert war, konnte ich mich nun endlich ganz dem Tasten hingeben und am Gemüsestand, in der Getränkeabteilung und im großen Regal auch vieles richtig mit den Fingern erkennen. Bei den an der Kasse ausgelegten Münzen aber wurde es schon wieder schwierig.

Trotzdem tat danach die Pause im großen Ausstellungsraum ohne Maske gut. Hier gab es es verschiedene kleinere Aufgaben zum Hören, Fühlen und Riechen. Interessant waren auch die Hilfsmittel für Blinde, von Büchern in Braille-Schrift bis zum Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel oder der Bügelhilfe. Wer denkt schon an so was, wenn er gut sehen kann?

Und wie ist es, wenn man nicht mehr gehen kann? Diesem verdrängten Thema kann man sich auf einem Rollstuhlparcours nähern. Wie bewegt man einen Rollstuhl? Wie lassen sich kleinere Hindernisse überwinden? Es erfordert durchaus Kraft in den Armen und etwas Mut, weil man mit Schwung besser auf die Matte oder das Brett kommt. Das Kurven fahren gelingt intuitiv und macht fast schon Spaß.

Danach heisst es nochmal Maske auf zum großen Finale auf der Strasse – natürlich geschützt und drinnen. Hier gibt es keine enge Führung in Gängen mehr, sondern einen großen Raum mit Haus, Bus, Auto und vielem mehr. Der Gang durch den Bus funktioniert ganz gut, aber auch hier zeigt sich später, wie viele Gegenstände mir entgangen sind.

Fazit: Das Dunkeexperiment ist wirklich eine tolle Sache, die unsere Wahrnehmung auf den Prüfstand stellt, durcheinanderbringen und gleichermaßen inspirieren kann. Ich kann jedem nur empfehlen, sich auf das Experiment einzulassen, sich Zeit dafür zu nehmen und keine Angst zu haben. Es gibt im Dunkelexperiment wirklich nichts Gefährliches und nichts, was man nicht völlig bedenkenlos anfassen kann.
Man bewegt sich anders, man wird immer wieder ins Leere greifen, aber das geht ja allen so. Und weil alle Masken tragen, sieht es sowieso niemand!