„Etwas mehr Hirn, bitte“ – Buch und Wunsch von Prof. Hüther

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“Etwas mehr Hirn, bitte”, so der Titel des neuen Buchs des Göttinger Hirnforschers Gerald Hüther. Den Titel finde ich nicht besonders glücklich. Ich muss unweigerlich an die Bilder von Rinderhirnen aus BSE-Zeiten denken oder sehe Hüther an der Fleischerei-Theke nach mehr Hirn verlangen…
Und wieso ist das “bitte” durch ein Komma abgetrennt? Egal, ich verschlinge das Buch trotzdem und bin nachher viel schlauer.

Lassen Sie sich bloss nicht vom Titel nicht negativ beeinflussen. Und verstehen sie das Komma so, dass Hüther seinem Wunsch noch mehr Nachdruck verleihen will.

huether-hirnDas Hirn…das unbekannte, aber auch zwiespältige Wesen unter unserer Schädeldecke! Es könnte so viel mehr, aber es will nicht immer und darf oft auch nicht (mehr). Und da liegt die Wurzel vieler Übel unserer heutigen Gesellschaft. Frust und Unzufriedenheit sind weit verbreitet. Schuld daran sind nach Hüther kaputte Beziehungen in der Familie, am Arbeitsplatz und in anderen Gemeinschaften. Menschen sehen sich gegenseitig hauptsächlich als Objekte, die in Konkurrenz zueinander stehen, was vielfach Angst auslöst. So richtig gut fühlt sich das nicht an, das meldet auch das Gehirn zurück, das dadurch in ein Ungleichgewicht kommt. Das aber mag es überhaupt nicht, denn es immer darauf aus, Energie zu sparen und sich nicht mit Problemen auseinanderzusetzen.
Unordnung im Gehirn entsteht auch durch neue Erfahrungen, die nicht zu dem passen, was dort aus der Vergangenheit abgespeichert ist. Darüber nachzudenken würde auch wieder viel Energie kosten. Das kommt nicht in Frage, also versucht das Gehirn, die neuen Erkenntnisse zu ignorieren. Das funktioniert besonders gut, wenn man sich mit anderen Menschen zusammenschließt, denen es ähnlich geht. Was viele denken, kann ja nicht so verkehrt sein!
Weil das erstmal gut geht, verkümmern auch die letzten Ansätze zum eigenständigen Denken.

Der Frust über die kaputten Beziehungen wird durch Konsum ausgeglichen. Viel kaufen, ganz oft etwas Neues kaufen – das geht aber nur bei niedrigen Preisen. Die gibt es – allerdings nur auf Kosten anderer Menschen, die zu Objekten werden, hier und oft in Billiglohnländern.
So weiter wie bisher, mehr vom Gleichen, vielleicht mit minimalen Änderungen, aber mehr nicht. Auf Dauer geht das nicht gut. Es ist langweilig gleich und löst die Probleme nicht, die doch immer wieder an die Tür klopfen. Irgendwann kommt der Punkt, wo das Neue, das Andere nicht mehr ignoriert werden kann.

Und genau an diesem Punkt und zum Aufbruch zum Besseren ist Hüthers “Etwas mehr Hirn, bitte” nötig. Man muss sein Hirn aus dem Energiesparmodus holen und bewusst Energie einsetzen, um nachzudenken, um sich mit Andersdenkenden zusammenzutun und um neue Lösungen zu finden.
Die positive Wirkung lässt nicht lange auf sich warten, denn das Gehirn selber aktiviert das Belohnungssystem. Wenn die Objekte dann zu Subjekten werden und Konkurrenz und Angst schwinden, ist eine gute Basis gelegt. Sobald sich Sicherheit breit macht, wächst die Kreativität und wird Lernen wieder attraktiv.

Gemeinsam gelingt die Weiterentwicklung, gemeinsam lassen sich die Potenzial jedes einzelnen entfalten, so dass die Gemeinschaft insgesamt davon profitiert.

Hüther ist sich sogar sicher, dass dann ein Wachstum ohne mehr Ressourcenverbrauch möglich ist. Das gilt nicht nur in einer “Kuschelecke”, sondern auch für die Wirtschaft, wo Hüther Verluste in Milliardenhöhe konstatiert, weil die Firmen ihren Mitarbeitern die Freude am eigenen Denken rauben. Letzteres kann ich aus eigener Erfahrung absolut bestätigen.

Es ist also kein Wissenschaftsbuch aus der Hirnforschung, sondern ein Anwendungsbuch für die Gesellschaft, deren wichtigster Rohstoff nun mal das Gehirn ist.

Ich hoffe, dass Hüthers Gedanken und Anregungen auf fruchtbaren Boden fallen. Es muss sich vieles ändern in der Gesellschaft. Und wenn es sogar auf verschiedenen Ebenen belohnt wird – warum fangen wir nicht endlich damit an?