Phänomenia Glauchau: Wo das Staunen kein Ende hat

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Im sächsischen Glauchau gibt es eine Schule, die eine magische Anziehungskraft auf Kinder ausübt -sogar in den Ferien. Unglaublich? Vielleicht, aber dennoch wahr! Phänomenal? Ja, auf jeden Fall! Deshalb nennt sich das Ganze ja auch Phänomenia.


In der alten Schule im Ortsteil Schönbörnchen wird nicht mehr klassisch gelehrt, sondern experimentell gelernt. Mathe und Physik zum Anfassen und Ausprobieren machen viel Spaß. Mit Begeisterung verankert sie der Stoff dann auch zuverlässig im Gedächtnis. So werden manche Unterrichtsstunden komplett ins Phänomena verlegt, wo die Schüler die Lösungen für gegebene Aufgaben suchen müssen (oder bessergesagt dürfen).
Neben diesen schulischen Verknüpfungen gibt es auf 2 Stockwerken in den alten Klassenzimmern jede Menge Wahrnehmungsexperimente, die nicht nur Kinder faszinieren. Groß und Klein dürfen aktiv werden, die Exponate ausprobieren, be-greifen, rätseln und staunen. Gerade dieses kindliche, naïve Ausprobieren haben Erwachsene oft verlernt, womit sie auch einen großen Teil ihrer Kreativität opfern. Also einfach alle vermeintlichen Zwänge hinter sich lassen, große Augen machen und als (kleine) Entdecker durch’s Phänomenia gehen.

Jeder Raum hat sein eigenes Thema, das mit verschiedensten Exponaten behandelt wird. Themen gibt es mehr als genug, so dass zwei Stockwerke mit vielen Klassenräumen und auch die Flure mühelos gefüllt werden. Alles lädt tatsächlich zum Anpassen und Probieren ein, denn auf Hochglanz oder “Design-Schnickschnack” wurde bewusst verzichtet.
Um wirklich alles auszuprobieren, braucht man leicht mehrere Stunden. Wer in der Nähe wohnt, kann natürlich auch mehrmals in Phänomenia kommen, so wie es jenes Paar gemacht hat, das kurz nach dem Besuch mit den Enkelkindern noch einmal alleine kam. Nein, sie haben nichts vergessen, antworteten sie auf die Frage des erstaunten Museumsbetreuers. Sie wollten sich einfach nochmal ganz in Ruhe umsehen, was mit den Kindern doch nicht so möglich war. Vor allem wollten sie sich ausgiebig an den Legespielen versuchen. Bunte Holzteile sollen in einem eigenen Raum zu Quadraten, Herzen, Buchstaben, Eiern, Flaschen oder anderen stimmigen Bildern zusammengelegt werden. Und da kann man sich so richtig festbeissen.

Der Rundgang beginnt sozusagen im Spiegelkabinett, wo es die Umwelt gleich in vielfacher Ausfertigung gibt. Die schier unendliche Apfelreihe, mein Gegenüber und ich gemischt, das schwebende Kind oder sich selbst vervollständigende Figuren – ein oder mehrere Spiegel machen die Wunder möglich. Nur mit Blick auf das Spiegelbild gegebene Punkte auf einem Blatt mit Linien verbinden? Selbst mit der “guten” Schreibhand ist das fast ein Ding der Unmöglichkeit.
phaenomenia-scheibeBewegung ist im nächsten Raum angesagt. Zuerst schwingt eine gestreifte Wand leicht hin und her und sorgt dafür, dass man vor ihr nicht ruhig auf einem Bein stehen kann. Danach sorgen drehbare Scheiben für erstaunliche optische Effekte. Weiter Hand anlegen heißt es an der Klangschale, die nicht nur Töne macht, sondern das Wasser spritzen lässt.
Besonders nett fand ich die Gestaltung der ehemaligen Spinde in den Fluren. Die Türen strahlen in vielen bunten Farben, und im Inneren wartet ein lustiges Memory-Spiel auf helle Köpfe.

Strahlende Augen sind im Seifenblasen-Raum garantiert. An einer Station kann man eine Wand aus Seifenschaum hochziehen und vorsichtig Beulen hineinblasen. An der anderen Station kann man sich selber in einen Seifenblasentunnel hüllen. Wie lange hält der Film, bevor er zerplatzt?
Der taktilen Wahrnehmung ist ebenfalls ein eigener Raum gewidmet, in dem es neben den bekannten Taststationen auch ein Tastmemory und ein “Malen nach Fühlen” gibt.

In der Dunkelkammer kann man die Camera Obscura erleben, die die Umrisse der Bäume vor dem Fenster als Schattenrisse auf die gegenüberliegende Wand projiziert. Auch das Zusammenspiel der drei Grundfarben Rot-Grün-Blau wird anschaulich dargestellt. Wieder draußen auf dem Gang warten verschiedene Knobeleien. Einige davon sind vielleicht schon bekannt, an anderen rätsele ich noch heute, wie an dem verschwindenden Zwerg…

Wie erlebt ein 3-jähriges Kind die Welt? Wir haben das zwar alle selber mal mitgemacht, können uns aber nicht daran erinnern, weil das Langzeitgedächtnis erst später seine Arbeit aufnimmt. Im Phänomenia können wir es an einem überdimensionalen Tisch und Stuhl nachvollziehen. Fast kribbelt es mir in den Beinen und ich möchte das Klettern versuchen. Aber ich bleibe dann doch brav auf dem Boden und staune nebenan über die unbewegte Scheibe, die sich aber doch zu drehen scheint.

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Eine Tür ist zunächst verschlossen, aber der freundliche Mitarbeiter öffnet sie später mit einem gewissen – berechtigten – Stolz für mich. Eine Traumwelt für kleine Mädchen ist dahinter verborgen: Eine riesige Sammlung an Puppen, die mit ihren Gewändern und Accessoires alle bekannten Märchen darstellen. Eine ältere Dame hat alles in Handarbeit gefertigt und dem Museum zur Verfügung gestellt. Eine weise Entscheidung, denn diese liebevollen Kunstwerke verdienen wirklich, gesehen zu werden. Und dass sie nur unter Aufsicht zugänglich sind, ist auch verständlich.

Was gibt es sonst noch zu sehen? Unendlich viel! Das Pendel, das kunstvolle Spuren im Sand hinterlässt, den Geigenbogen, der die Sandkörner auf einer Platte tanzen lässt, einen ganzen Raum, in dem man Töne und Klänge erzeugen kann, Flaschenzüge und ein ganzes Auto zur Demonstration der Hebelgesetze, einen lebensgroßen Ames’schen Raum und vieles, vieles mehr.

phaenomenia-storchUm es kurz zu fassen: Ab nach Glauchau, egal mit wem, aber auf jeden Fall mit viel Zeit! Wer mit der Bahn anreist, steigt an der Haltestelle Glauchau-Schönbörnchen aus und hat dann noch ca. 15 Minuten Fußweg vor sich. Einfach dem Wegweiser und dem Straßenverlauf folgen und an der Gabelung links halten. Vielleicht ist ja auch der Storch wieder auf dem Feld zu sehen?

Nachtrag: Die Phänomenia ist zwischenzeitlich nach Stollberg umgezogen.