Die OeAV-Bergwaldprojekte psychologisch betrachtet

bergwaldprojekt

Der Österreichische Alpenverein veranstaltet jedes Jahr rund 20 Bergwaldprojekte. Dabei kommen 10 – 20 Personen aller Altersstufen aus ganz Österreich und zum Teil auch anderen Ländern zusammen, um Bäumchen zu pflanzen oder Almflächen zu pflegen. Es ist eine harte körperliche Arbeit, die alle freiwillig und begeistert tun. Bezahlung gibt es keine, nur Kost und Logis sind frei – letzteres oft karg auf Almhütten ohne Strom oder heiße Dusche. Warum tun sie das? Und warum tun es viele immer wieder?

bwp2„Wiederholungstäter“ sind bei den Bergwaldprojekten häufig und gerne gesehen. Sie schätzen es, andere Menschen zu treffen, die trotz ganz unterschiedlicher persönlicher Hintergründe auf der gleichen Wellenlänge sind. Auch wenn sich die meisten noch nie vorher getroffen haben, entwickelt sich binnen weniger Stunden eine große Vertrautheit. Die Zusammenarbeit funktioniert bestens, es ergeben sich spannende Gespräche, und auch der Spaß kommt nicht zu kurz.
Lässt sich das mit Erkenntnissen aus der Psychologie erklären? Ja, sicher!

Ein gemeinsames Ziel

Die Teilnehmer bilden auch aus psychologischer Sicht eine Gruppe, da sie ein gemeinsames Ziel haben. Dieses Ziel und der Fortschritt auf dem Weg dorthin sind ganz einfach sichtbar. Bei einem Pflanzprojekt sieht man die Kisten mit den Pflänzchen, die gesetzt werden müssen. Jeden Abend ist die Menge der Kisten kleiner, während die bepflanzten Flächen größer werden. Das Ziel lässt sich gemeinsam viel schneller erreichen: einer hackt das Loch, ein anderer setzt die Pflanze und schlägt den Pflock ein, während noch ein anderer für den Nachschub sorgt. Diese Arbeitsaufteilung passiert bei den Bergwaldprojekten übrigens meist ganz automatisch. Es braucht keinen Chef, der Anweisungen gibt, sondern die Teilnehmer sprechen sich ab, wechseln sich ab oder packen einfach da an, wo sie Bedarf sehen.

bwp1Miteinander statt Machtkämpfe

Jeder Teilnehmer ist im Bergwaldprojekt wichtig. Das gemeinsame Ziel zählt, nicht die Leistung einer einzelnen Person. Niemand wird sich am Abend rühmen, dass er x Bäume gepflanzt hat oder schimpfen, weil ein anderer Teilnehmer vielleicht nur x-y Bäume gesetzt hat. Durch die wechselnden Tätigkeiten und unterschiedliche Geländegegebenheiten lässt sich sowieso kein Akkord ermitteln. Darum geht es ja auch gar nicht vorrangig. Natürlich sollte das Ziel erreicht werden, aber es geht auch noch um andere Dinge als die reine Arbeit. Es geht nämlich auch darum, die Bedeutung des Bergwaldes und der Almwirtschaft praktisch zu vermitteln. Beide sind unendlich wichtig, haben aber keine Heerscharen an Lobbyisten. Da zählt jeder einzelne, der die persönlich erlebte Erkenntnis weiterträgt.

Es hat Sinn

Bäumchen zu pflanzen oder Almflächen zu erhalten macht Sinn. Und das spüren die Teilnehmer tief in ihrem Inneren. Der Sinn wird erstens dadurch gefördert, dass die Zielerreichung sichtbar wird. Zweitens erzeugen die Reaktionen von außen Sinn: wenn die Grundeigentümer Lob und Dank aussprechen oder wenn die Medien von der Aktion berichten, entsteht ein gutes Gefühl. Drittens kommt der Sinn von innen, und diese intrinische Motiviation ist sicher am wichtigsten. Statt gierig auf den eigenen Vorteil zu schauen, geben die Bergwaldprojektler etwas, sowohl der Umwelt als auch den kommenden Generationen, die einige der Bäume erst in 100 oder mehr Jahren schlagen und nutzen werden.

bwp3Stressbewältigung

Die körperliche Arbeit ist zwar anstrengend, aber in der Gruppe wird jeder so eingegliedert, dass er einen sinnvollen Beitrag leisten kann, der seinen Möglichkeiten entspricht. Stress wegen mangelnder Bewältigungskompetenz kommt also nicht auf, vielmehr Hochachtung, wenn jemand mit 78 Jahren oder künstlichen Gelenke die Arbeit im Bergwald nicht scheut. Die Zielerreichung und der Sinn befriedigen und verdrängen sogar negative Gedanken. Psychohygiene ist also inbegriffen.

Das alles erklärt, warum der Abschied vom Projekt und der Gruppe oft schwer fällt und warum es gar nicht so einfach ist, wieder ins „normale“ Leben zurückzukehren. Wohl dem, der den Geist des Bergwaldprojekts auch im Alltag noch im Herzen lebendig halten kann.

Wer auch mal an einem Bergwaldprojekt teilnehmen möchte, kann sich auf der Website des Österreichischen Alpenvereins informieren.