Gedächtniskünstlerin gibt Tipps für das Hirn


Lassen Sie Ihr Hirn nicht unbeaufsichtigt!“, so der Titel des Buchs von Christiane Stenger, das physikalisch vor und lesetechnisch hinter mir liegt. Irgendwie kommt mir dieser Spruch doch bekannt vor… Ja klar, wer öfter mit dem Zug fährt, kennt die Bahnhofsansage: „Lassen Sie Ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt!“. Vielleicht hat Stenger diese Assoziation bewusst gewählt, damit ihr Titel in den Köpfen bleibt. Denn unser Gehirn merkt sich neue Dinge leichter, wenn es sie an schon Bekanntes anknüpfen kann.

Auf dem Bahnhof beginnt die Ansage mit dem Wort „Sicherheitshinweis“. Es soll also niemandem das Gepäck gestohlen werden. Das kann beim Hirn zum Glück nicht passieren, weil es ja fest im Schädel sitzt. Aber es kann dennoch gewissermaßen „Füße bekommen“ und machen was es will, auch wenn das für seinen Besitzer gar nicht so gut ist. Damit das nicht immer und unkontrolliert passiert, hat sich Christiane Stenger hingesetzt und eine „Gebrauchsanweisung für Ihren Kopf“ verfasst.

Auch das kommt mir bekannt vor… Diesmal finde ich den Anknüpfpunkt bei Gerald Hüther, der schon 2001 seine „Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn“ als Buch veröffentlicht hat. Während Hüther ein Fachbuch abgeliefert hat, schreibt Stenger um einiges lockerer und kombiniert verschiedene Themen, die zum Teil dem Gedächtnistraining und zum größeren Teil dem Mentaltraining zugeordnet werden können. Gerald Hüther ist bei ihr auch mit einigen Zitaten mit von der Partie.

stenger-hirn-unbeaufstichtigtIm Mittelpunkt steht das Hirn, das ja schon auf dem Cover das größte Gewicht bekommt. Diesem wichtigen Organ gibt Christiane Stenger ein ziemlich schlechtes Zeugnis: Es gaukelt uns etwas vor, ist faul, ein Gewohnheitstier, leichtgläubig, harmoniebedürftig, neugierig und leicht ablenkbar ist.

Es gibt aber keinen Grund zur Resignation, denn das Hirn, das Stenger mit einem jungen Hund vergleicht, lässt sich gut an die Leine nehmen und führen. Wie das geht? Das erklärt sie auf gut 270 Seiten.

Leidenschaft, Fleiß und Disziplin muss allerdings jeder selber mitbringen, und ohne diese Zutaten wäre Stenger nicht mehrfache Gedächtnisweltmeisterin geworden. Sie ist Expertin darin, sich lange Zahlenreihen treffsicher zu merken. Im täglichen Leben funktioniert aber selbst bei ihr nicht immer alles reibungslos, wovon sie offen berichtet. Den Leser mag es trösten, und sie hat damit gleich die richtigen Praxisfälle, um selbst neue Wege auszuprobieren und über ihre Erfahrungen zu berichten.

Sonst würde man einer jungen Frau wohl kaum glauben, wenn sie rät, weniger Zeit in sozialen Netzwerken zu verbringen, öfter mal nicht erreichbar zu sein und Multitasking sein zu lassen. Das Internet verwöhnt uns zwar mit Unmengen an Informationen. Die Kehrseite nennt Stenger „Information Overkill“, der die Aufmerksamkeit senkt und für das Hirn nichts bringt, da es nach wie vor nur mit rund 7 Informationseinheiten auf einmal umgehen kann.
Öfter mal Nein sagen und den Stresspegel senken – das sind die Tipps, die hier direkt anschließen. Damit das trotzdem noch zu engen Zeitplänen passt, stellt Stenger verschiedene Zeitmanagement-Techniken vor.

Welche Themen sind damit verwandt? Richtig, Motivation und Disziplin, ohne die kaum ein Ziel erreichbar ist – vorausgesetzt man hat sich für ein solches entscheiden können. Denn von den 20.000 Entscheidungen, die wir täglich treffen, sind nur 40% Gewohnheit. Wie die anderen Entscheidungen entstehen und wie man sie leichter trifft, wird im Buch auch angesprochen.

Wären Sie gerne kreativer? Dann begeben Sie sich in ein ungewohntes Umfeld und lassen Ihr Default Network arbeiten. Probieren Sie es mit Achtsamkeit oder wie Stenger mit Meditation. Die Verbesserung der Konzentration und Aufmerksamkeit lässt sich übrigens gratis in der Natur erzielen.

Im Kapitel über Bewegung, Ernährung und Schlaf werden einmal mehr klar, dass Körper und Geist untrennbar zusammenhängen und selbst die Mahlzeit über das Denkvermögen entscheiden kann. Gleichzeitig hat jeder mit diesen 3 Aspekten viele Einflussmöglichkeiten in seiner eigenen Hand.

Christiane Stenger hat sich für ihre Leser in die Fachliteratur eingelesen, hat die wichtigsten Erkenntnisse und Beispiele herausgesucht und mit eigenen Erfahrungen zu einem leicht genießbaren Menü zusammengestellt. Jeder, der sich zum ersten Mal aktiv mit seinem Hirn beschäftigt, erfährt neben biologischen Grundlagen viel über das Verhalten des Hirns in verschiedenen Lebenssituationen und kann sich vielleicht die eine oder andere Verhaltensweise besser erklären.

Damit es aber nicht nur beim Lesen bleibt, sondern tatsächlich Änderungen erreicht werden, muss jeder seinen persönlichen Lieblingsbereich finden, in dem er aktiv werden will. Die konkreten Tipps am Ende jedes Kapitels bieten einen Einstieg, wobei es aber sicher nicht schaden kann, sich mit dem ausgewählten Thema selber vertiefter zu beschäftigen. Denn Änderungen geschehen leider weder automatisch noch magisch allein durch das Lesen eines Buchs.

Zumindest 2 Merktechniken dürfen im Buch einer Gedächtnisweltmeisterin nicht fehlen, und können nach einiger Übung in den persönlichen Alltag vom Einkaufszettel bis zur Prüfung übernommen werden. Auch hier ist aber noch einiges an Eigeninitiative oder Arbeit mit einem Gedächtnistrainer nötig, bis die Techniken im Alltag gewinnbringend eingesetzt werden können.

Aber jeder fängt mal an, und warum nicht mit diesem Buch?

Buchdetails
Christiane Stenger
„Lassen Sie Ihr Hirn nicht unbeaufsichtigt!“
Gebrauchsanweisung für Ihren Kopf
Verlag Goldmann
ISBN 987-3-442-17557-4