Was unser Gehirn alles kann: Reparatur und Neustart


Manche Sprichwörter halten sich hartnäckig, obwohl sie eigentlich schon längst widerlegt sind. Die Geschichte, dass Hans als Erwachsener nichts mehr lernen kann, für das er als Kind nicht die Basis gelegt hat, gehört dazu. Der Gegenbeweis steckt im Begriff Neuroplastizitiät. Was sich vielleicht kompliziert anhört, bedeutet nichts anderes, als dass sich das Gehirn jederzeit neu verdrahten kann. Auch der in Ehren ergraute Hans kann folglich noch ein Studium abschließen. Und selbst wenn Hans einen Schlaganfall erleidet, kann es sein Gehirn schaffen, die Funktionen der geschädigten Gehirnareale in andere Bereiche zu verlagern.

Schule und Erziehung sorgen zwar für gewisse Strukturen in Hänschens Gehirn. Denk- und Handlungsweisen, die er häufig nutzt, werden natürlich besonders fest verdrahtet. Stellen Sie sich das ruhig wie einen der Trampelpfade quer über eine Wiese vor. Huscht nur eine Person hinüber, sieht man nichts. Gehen aber täglich viele Füße dort entlang, werden die Grashalme zurückgedrängt, bis eines Tages ein ausgetretener Weg entsteht.
Aber was passiert, wenn der Weg länger nicht mehr genutzt wird? Er wächst wieder zu!

Das gleiche passiert auch im Gehirn. Wissen oder Fertigkeiten, das bzw. die längere Zeit nicht mehr genutzt werden, geraten in Vergessenheit. Das Gehirn optimiert sich selbst, baut nicht mehr benötigte Verbindungen wieder ab und verwendet Gehirnareale neu. neustart-im-kopfDas ist nichts Außergewöhnliches, sondern die ganz normale Funktionsweise des Gehirns, verrät der Psychiater und Psychoanalytiker Dr. Norman Doidge in seinem Buch „Neustart im Kopf“.

Jeder ist seines Hirnes Schmied

Wer seine Muskeln trainiert, kann seine körperliche Lebenserwartung steigern. Das ist bekannt. Aber reicht das? Nein, denn die mentale Lebenserwartung hält damit oft nicht stand. Mentales Training schafft hier Abhilfe und ermöglicht nach Doidge sogar die ewige Jugend des Gehirns! Bewegung und eine informationsreiche Umgebung lassen jedes Gehirn wachsen. Das durchschnittliche Fernsehprogramm hilft dabei eher nicht, da die ständig wechselnden Eindrücke zur Erschöpfung führen und die Aufmerksamkeit senken.

Lernen ist…

Lernen ist in jedem Alter wichtig. Wer dabei dauerhafte Änderungen im Gehirn wünscht, muss motiviert, aufmerksam und konzentriert sein. Das ist vielleicht nichts Neues. Aber wenn Lernen Spaß macht und damit auch gleichzeitig besser funktioniert, ist sicher nichts dagegen einzuwenden, oder?

Leider kann man auch nicht so nützliche Dinge erlernen. Doidge prägt den Begriff der „erlernten Nichtnutzung“ und erklärt dies am Beispiel von Schlaganfallpatienten. Sie lernen, dass der Körperteil, der vom geschädigten Gehirnbereich gesteuert wurde, nicht mehr funktioniert und probieren es dann gar nicht mehr. Wenn selbst dieses Wissen in einer gezielten Therapie gelöscht werden kann, ist es auch möglich, nicht mehr gewünschte Verhaltensweisen aufzugeben. Zuweilen ist – wie Doidge es nennt – eine „mentale Straßensperre“ nötig, um eine andere Richtung einzuschlagen. Aber es ist möglich.

Nochmal zurück zu Hänschen und Hans

Eines stimmt aber trotz allem am Sprichwort: Hänschen fällt es leichter als Hans, eine Fremdsprache zu lernen. Warum das? Weil im Gehirn immer ein Wettbewerb um die Gehirnareale herrscht. Dabei wird geprüft, welche Bereiche tatsächlich gebraucht werden und welche Bereiche anderweitig vergeben werden können. Bei Hans dominiert die Muttersprache seit Jahrzehnten das Sprachzentrum, so dass es eine neue Sprache schwer hat, freien Platz im Gehirn zu finden. Bei Hänschen ist das Rennen noch offener…

Ansonsten gilt aber das, was schon Prof. Hüther in seinem Buch „Was wir sind und was wir sein könnten“ so treffend festgestellt hat:

„An Ihrem Gehirn liegt es jedenfalls nicht, wenn Sie auch in Zukunft glauben, so weitermachen zu müssen wie bisher.“

Lassen Sie sich von Norman Doidge und „Neustart im Kopf“ noch weiter ermutigen und überzeugen, was das Gehirn selbst bei Krankheiten und Lernbehinderungen leisten kann.